Vögel haben uns inspiriert, Flugzeuge zu bauen. Und das Pferd als Lastenträger war Vorbild für die Konstruktion des Automobils. Aber keines der dieser – nicht mehr aus unserem Leben wegzudenkenden – Transportfahrzeuge ähnelt noch seinen tierischen Vorfahren. Bei künstlichen neuronalen Netzwerken, die die Basis für alle Anwendungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz sind, verhält es sich ähnlich. Obwohl künstliche Neuronen von biologischen Prozessen inspiriert wurden, unterscheiden sie sich in vielfacher Hinsicht von ihren biologischen Kollegen. Dieser Artikel behandelt biologische und künstliche Neuronen im Vergleich.
Bereits 1943 schlugen Warren McCulloch und Walter Pitts ein künstliches Neuronenmodell vor. Die Forscher wollten ein vereinfachtes Modell realer Vorgänge in neuronalen Strukturen entwerfen. Die Grundidee, die die KI Forscher damals wie heute verfolgten war die, bestimmte Teile von Neuronen wie Dendriten, Zellkörper und Axone mit mathematischen Modellen nachzuahmen. Mit Erfolg, wie der aktuelle Mega-Hype um die Entwicklungssprünge im Bereich der KI-Forschung zeigt.
Der Aufbau von biologischen und künstliche Neuronen im Vergleich
Beim Menschen empfangen Dendriten Signale von anderen Neuronen, der Zellkern verarbeitet die Informationen und das Axon leitet an das nächste Neuron weiter. Im künstlichen neuronalen Netzwerk werden die Eingangssignale als “Input” bezeichnet, der “Kern” verarbeitet diese Inputs mathematisch und der “Output” liefert das Ergebnis.


Was sind die wichtigsten Unterschiede zwischen einem künstlichen und einem biologischen neuronalen Netzwerk?
1. Anzahl der Neuronen
Das menschliche Gehirn hat etwa 100 Milliarden Nervenzellen (Neuronen), die durch etwa 100 Billionen Schaltstellen (Synapsen) miteinander verbunden sind. Die Anzahl der “Neuronen” in künstlichen Netzwerken ist mit einer Größenordnung von aktuell 10-1000 wesentlich geringer.
2. Topologie
Alle künstlichen Schichten berechnen nacheinander, anstatt Teil eines Netzwerks zu sein, in dem Knoten asynchron rechnen. In biologischen Netzwerken, deren Topologie komplizierter ist, können Neuronen asynchron parallel feuern.
3. Geschwindigkeit
Das menschliche Gehirn ist großartig in der raschen Verarbeitung von Information. Grund dafür ist die Übertragungsgeschwindigkeit und die Paralellität, mit der Neuronen arbeiten. Die Signalübertragungsgeschwindigkeiten variieren von Person zu Person, abhängig von Geschlecht, Alter, Größe, Temperatur, Gesundheitszustand, Schlafmangel usw. Das sind Faktoren, die in künstliche neuronalen Netzen nicht vorkommen.

4. Fehlertoleranz
Biologische neuronale Netze sind aufgrund ihrer Topologie fehlertolerant. Informationen werden redundant gespeichert, so dass kleinere Ausfälle nicht zu einem Speicherverlust führen. Sie haben also keinen einzigen “zentralen” Teil. Das menschliche Gehirn kann sich auch erholen und bis zu einem gewissen Grad heilen. Künstliche neuronale Netze sind nicht für Fehlertoleranz oder Selbstregeneration modelliert. Die für das Training verwendete Hardware kann sich bei regelmäßiger Nutzung schnell abnutzen und muss ausgetauscht werden.
5. Stromverbrauch – das menschliche Gehirn arbeitet viel effizienter
Unser Gehirn verbraucht etwa 20% der gesamten Energie des menschlichen Körpers. Ein erwachsenes Gehirn arbeitet mit etwa 20 Watt, das ist kaum genug, um eine Glühbirne zum Leuchten zu bringen. Es ist dabei aber äußerst effizient. Zum Vergleich: Eine NVIDIA Titan RTX Grafikkarte, die beim Einsatz auch viel Wärme erzeugt, läuft allein mit 280 Watt.

7. Lernen
Forscher verstehen immer noch nicht genau, wie Gehirne lernen oder wie redundante Verbindungen Informationen speichern und abrufen. Neuroplastizität – die Fähigkeit des Gehirns, sich selbst zu ändern – ermöglicht es, neue Verbindungen zu schaffen. Synapsen können sich je nach ihrer Bedeutung verstärken oder schwächen. Mit dem Lernen bauen wir auf Informationen, die bereits im Gehirn gespeichert sind. Unser Wissen vertieft sich durch Wiederholung und im Schlaf. Im Gegensatz zum menschlichen Gehirn lernen künstliche neuronale Netze nicht durch Abrufen von Informationen. Sie lernen nur während des Trainings und “erinnern” sich immer an die gleichen, erlernten Antworten, ohne einen Fehler zu machen. Zudem ist es auch möglich, zuvor trainierte Modelle zu verwenden um Zeit und Ressourcen zu sparen.
Der Mensch kann sein “Modell” von der Welt rasch aktualisieren
Künstliche neuronale Netzwerke sind also in keinster Weise direkte Kopien der menschlichen, sondern dienen Forschern als Inspiration. Der Mensch ist in der raschen Verarbeitung von Information, die für ihn überlebenswichtig ist, schlichtweg genial. Er nutzt seinen gesunden Hausverstand und ist in der Lage, sein “Modell” von der Welt schnell zu aktualisieren.
Künstliche Intelligenz kann das (noch) nicht, weil sie nicht der klassischen evolutionären Entwicklung unterliegt.Um Maschinen intelligent zu machen, ist noch viel menschliche Intelligenz erforderlich. So wird es also noch eine Zeit lang dauern, bis die Maschine dem Menschen in allen Bereichen überlegen ist. Experten bezeichnen diesen Zeitpunkt als Singularität.