“21 Visionen für das 21 Jahrhundert” ist ein Theaterstück des Performance Duos Julalena, das am 30.10. 2020 kurz vor dem zweiten Corona-Lockdown im Geidorf Kino in Graz uraufgeführt wurde. Es ist eine Auseinandersetzung mit Yuval Noah Hararis Meisterwerk “Lektionen des 21 Jhdts” und zugleich ein experimenteller Showdown mit neuen Technologien. Behandelt werden die Themen Religion, Zuwanderung, Krieg, Demut, Terrorismus, Arbeitslosigkeit und Gott.
Ein Ritt auf der KI-Rakete
Meine Aufgabe bestand darin, Jula Zangger und Lena Westphal bei der Umsetzung ihrer künstlerischen Vision beratend zur Seite zu stehen und sie technisch zu unterstützen. Es war ein Ritt auf der Rakete, denn einige KI-Technologien, die wir für das Stück einsetzen, waren gerade mal ein paar Wochen alt und nicht wenige Software-Instrumente, die wir nutzten, wiesen eine Menge Bugs auf. Dieser Kreativ-Prozess – ein tägliches “Trial and Error” – trieb einen dort und da in die Verzweiflung. Dennoch war das ganze Team sehr stolz auf dieses ungewöhnliche Projekt.
Einsatzgebiet – KI in allen 7 Szenen
Das Stück bestand aus 7 Szenen. In jeder davon kamen unterschiedliche KI-Technologien zum Einsatz. Von der Bildmanipulation bis Deep Fake, von der Generierung von Text bis hin zu KI-komponierter Musik.
Szene 1 – Religion
Das Stück beginnt an einem Brunnen. Gretchen betet. Füllt frische Blumen in den Krug, vor der Mater Dolorosa.
Ach neige, du Schmerzensreiche, dein Antlitz gnädig meiner Not. Das Schwert im Herzen mit tausend Schmerzen blickst auf zu deines Sohnes Tod.
Was hat die KI beigesteuert?
Vorab geshootete Fotos sollten mit der Hilfe von “Style Transfer” verändert werden und die Schauspielerin Lena als “Mater Dolorosa” zu einer göttlichen Figur hochstilisieren. Eine weiteres Highlight war die Übersetzung eines Gebets auf Arabisch und Hindu mit Hilfe diverser Maschine Learning Tools, sowie ein KI Sprachmodul, das auch die Aussprache und den Export von Audiodateien beherrscht.
Szene 2 – Zuwanderung
Lisa ist Besitzerin eines Tatoo-Ladens. Maeva, als Österreicherin mit Migrationshintergrund in der zweiten Generation kommt zum Vorstellungsgespräch.

Was hat die KI beigesteuert?
Den zweiten Teil der Szene schrieb das KI-Sprachmodell GPT-2 von Open AI. GPT-2 ist ein Machine Learning Modell, das mit Millionen von Rohtexten darauf trainiert wurde, zusammenhängende Texte zu schreiben. Diese synthetisch geschriebenen Zeilen sind von menschlichen Texten kaum zu unterscheiden. Die Besonderheit: GPT-2 führte Jula und Lenas Dialog fort und fügte sogar einen zusätzlichen Charakter hinzu.
“Maeva: Politiker sind wie Ex-Ehemänner und Ex-Ehefrauen. Das ist es, was sie tun!
Lisa: Das ist eine seltsame Analogie. Bis auf den Teil mit den Ex-Ehefrauen! Ich bin ein Ex-Minister und Ex-Bürgermeister, und jetzt Ex-Mama und Ex-Vater meiner vier Kinder. ” – Dialog, geschrieben von GPT-2
Zusätzlich präsentierten wir dem Publikum Menschen verschiedener Ethnien, die nicht existieren und stellten sie den Portraits der Schauspielerinnen gegenüber. Hierfür setzten wir die GAN Technologie ein, die aus tausenden Portraits neue Gesichter schuf und die Kreativität der KI befeuerte.
Szene 3 – Terror
Terror muss man als Spiel begreifen, erklärt Maeva, und es ist wirklich besser, diese Sätze von einem „Computergame“ zu hören, als von Jula in Glitzerhose in einer Assi-Küche.
Was hat die KI beigesteuert?
Für diese Szene stellte das Performanceduo eine Videosequenz zur Verfügung, die mittels Style Transfer einen völlig neuen Charakter bekam. Die Files hießen „Dream“, „Drugs“, „Computergame“, „Matrix“ und „Terminator“, Fehler inklusive.
Szene 4 – Krieg
Eine Greisin in einem Lehnstuhl. Die Bluse zugeknöpft bis zum Hals, darüber ein Morgenrock. Ein leichtes Zittern. Es läutet an der Tür. Die Greisin erhebt sich, geht zur Tür, öffnet. Großmutter und Enkelin unterhalten sich über die Liebe und das Leben.
Was hat die KI beigesteuert?
In dieser Szene setzten wir Alterungsprozesse ein, die wir auf zuvor geshootetes Fotomaterial übertrugen. Die Schauspielerin trug Perücke, ihr Gesicht ließen wir mittels KI in diversen Szenen altern. Für eine Hochzeitsszene wurde auch ein Geschlechtertausch mittels Machine Learning durchgeführt.
Szene 5 – Demut
Maeva hört beim Bügeln Radio im Stile von Ö1. Lisas Stimme ist zu hören, die Themen umfassen Judentum, Antisemitismus, Freud und mehr.
Die Musikkomposition eines Streicher-Stückes, das wir speziell für die Aufführung von einer KI komponieren ließen:
Was hat die KI beigesteuert?
Das Künstlerduo wünschte sich für diese Szene Style Transfers von Fotografien von Katzen und Kühen, für die wir u.a. Googles Deep Dream KI Software und diverse Style GANs nutzten. Den Musikalischen Hintergrund lieferte eine KI-Komposition.
Szene 6 – Gott
Ein Aquarium. Maeva als Fisch schwimmt darin herum. Lisa als Angler – Gott steht am Rand, mit Strahlen versehen. Sie wirft einen Angelhaken aus, an der baumelt ein Papier mit der Aufschrift GLÜCK. Maeva schwimmt sofort darauf zu, nimmt das ganze Papier in den Mund, hängt folglich am Haken und wird von Lisa an Land gezogen.

Was hat die KI beigesteuert?
In dieser Szene setzten wir Distortion Effekte ein, die Wassertropfen in Pixel verwandelten. Damit wollten wir das “aus dem Wasser fischen” symbolisieren.
Szene 7 – Säkularismus
Finde dich mit deinem Schatten ab.
Was hat die KI beigesteuert?
In dieses Szene war vorgesehen, dass Jula und Lena in verschiedene berühmte Film- und Musik-Gestalten schlüpfen. Diese technische Herausforderung lösten wir mit der Deep Fake Technologie, die die Manipulation von Videomaterial möglich macht. Deepfakes sind täuschend echt wirkende Videos, bei denen das Gesicht einer Person auf eine andere übertragen wird. Der Begriff setzt sich aus dem Schlagwort Deep (von Deep Learning) und dem englischen Wort Fake (Schwindel) zusammen.
Wundervolle “KI-Nebenprodukte”
Beim Herumexperimentieren mit Bild- und Videomaterial entstanden wundervolle “Nebenprodukte”, die zwar nicht ins Theaterstück einflossen, aber dennoch sehenswert sind. Aber sehen sie selbst.
Klassischer Deepfake Fail: Julas Gesicht verschiebt sich in der Rauchwolke.
Künstliche Intelligenz und Kreativität. Entstehen hier einzigartige, neue Kombinationen?
Wir schreiben das Jahr 2021 und sehen langsame, aber bemerkenswerte Fortschritte im Bereich der “künstlichen” Kreativität: Es gib jetzt schon KIs, die malen, Lieder schreiben und sogar Artikel verfassen können. Auch wenn sich dieser maschinelle Output noch etwas holprig anfühlt: die von KI kreierten Werke werden jedes Jahr besser und immer schwerer von menschlicher Arbeit zu unterscheiden. Jüngste Fortschritte zeigen, dass Computer in der Lage sind, Kunst auf sehr hohem Niveau zu produzieren, die oft in der Lage ist, den Menschen vorzugaukeln, dass sie von einem Künstler stammt. Als weltoffene Menschen sollten wir beide Varianten, Kunst zu erzeugen, zulassen.
Das Erzeugen neuartiger Kombinationen ist möglicherweise aktuell der beste und attraktivste Weg, um mit KI-Maschinen zusammenzuarbeiten. Man gibt also der KI bestimmte Regeln vor und füttert sie mit Daten. Innerhalb dieses Möglichkeitsraums versucht die Maschine schließlich, neue Kombinationen zu finden, die noch nicht erforscht worden sind. So kann man bestehende Kunstwerke verändern, ähnliche schaffen oder originelle neue erzeugen.
In vielen Fällen ist die KI also ein “Kollaborateur” für Künstler. Das Ziel ist dabei nicht, sie zu ersetzen, sondern kreativ zu befeuern.
Weiterführende Links
> Julalena Official Website
> Programmheft zum Stück
Pressestimmen
> Kronen Zeitung, 10/2020
> Kurier, 10/2020
> Kleine Zeitung, 10/2020