Netflix hat mit der argentinischen Science-Fiction-Serie „The Eternaut“ einen Meilenstein gesetzt: Als erstes Unternehmen nutzte der Streaming-Gigant generative KI für finale Videosequenzen in einer Originalproduktion. Die KI-gestützte Gebäudeeinsturz-Szene wurde zehnmal schneller als mit herkömmlichen VFX-Methoden produziert und kostete einen Bruchteil des üblichen Budgets. Diese Entwicklung markiert den Beginn einer neuen Ära, in der KI-Videotechnologie von einem experimentellen Tool zu einem produktionsreifen Instrument wird, das die gesamte Unterhaltungsindustrie transformieren könnte.
Ted Sarandos, Co-CEO von Netflix, bezeichnete dies als „das allererste generative KI-Material, das in einer Netflix-Originalserie oder einem Film auf dem Bildschirm erscheint“. Die Bedeutung dieser Ankündigung während des Quartalsberichts Q2 2025 kann nicht überschätzt werden: Netflix zeigt, dass KI-Videogenerierung nicht mehr nur eine Zukunftsvision ist, sondern bereits heute wirtschaftlich viabel und qualitativ überzeugend eingesetzt werden kann. „The Eternaut“, eine post-apokalyptische Serie über Überlebende eines toxischen Schneefalls in Buenos Aires, erreichte eine beeindruckende Bewertung von 96% auf Rotten Tomatoes und wurde bereits für eine zweite Staffel verlängert.
Der Kontext ist entscheidend: Während die Unterhaltungsindustrie noch die Auswirkungen der Hollywood-Streiks von 2023 verarbeitet, in denen Künstliche Intelligenz ein zentrales Streitthema war, demonstriert Netflix einen pragmatischen Ansatz zur KI-Integration, der menschliche Kreativität unterstützt statt ersetzt.
Die aktuelle Landschaft der KI-Videogenerierung
Die KI-Videogenerierung erlebt 2024 und 2025 einen beispiellosen Aufschwung. Der globale Markt soll von 534,4 Millionen USD im Jahr 2024 auf 2,56 Milliarden USD bis 2032 wachsen – eine jährliche Wachstumsrate von 19,5%. Diese explosive Entwicklung wird von technologischen Durchbrüchen, insbesondere bei den sogenannten „Diffusion Modelle“ angetrieben, die Videos von offensichtlich künstlich zu nahezu fotorealistisch transformiert haben.

Die Marktführer haben sich klar herauskristallisiert: Google DeepMind dominiert mit der Veo-Serie die technischen Spezifikationen. Veo 2 kann Videos in 4K-Auflösung mit über zwei Minuten Länge generieren, während Veo 3 als erstes Tool native Audiogenerierung mit Dialog, Soundeffekten und Hintergrundgeräuschen bietet. In Nutzerstudien bevorzugten 59% der Befragten Veo 3 gegenüber OpenAIs Sora.
OpenAIs Sora, das im Februar 2024 mit beeindruckenden Demos für Aufsehen sorgte, enttäuschte bei der öffentlichen Veröffentlichung im Dezember. Nutzer berichten von unrealistischer Physik, Schwierigkeiten bei komplexen Aktionen und einer Begrenzung auf 1080p-Auflösung mit maximal 20 Sekunden für Pro-Nutzer. Auch ich persönlich war nach dem Release sehr enttäuscht und habe meine Pro Lizenz wieder storniert.
Als Alternativen stehen auch Kling, Luma, Pixaverse und unzählige asiatische Modelle zur Verfügung, die sich stetig verbessern.
Netflix‘ technologischer Vorstoß mit „The Eternaut“
Netflix‘ Ansatz bei „The Eternaut“ unterscheidet sich fundamental von der Experimentierfreude anderer Plattformen. Das Unternehmen setzte auf bewährte Partnerschaft mit Eyeline Studios, ihrer internen VFX-Abteilung, die sich der Mission verschrieben hat, „traditionelles Denken zu durchbrechen und die Zukunft des Filmemachens zu schaffen„.
Die technischen Details des Projekts: Für eine komplexe Gebäudeeinsturz-Szene in Buenos Aires kombinierten die Teams reale Aufnahmen mit synthetischen Elementen. Die nahtlose Integration erforderte fortschrittliche Technologien wie 3D Gaussian Splatting und Diffusion-basierte Modelle.
- 3D Gaussian Splatting: Ist eine Methode, die das Rendering fotorealistischer Szenen in Echtzeit ermöglicht, die aus einer begrenzten Anzahl von Bildern gelernt wurden.
- Diffusion Modele: Sind generative Modelle, die hauptsächlich für die Bilderzeugung und andere Aufgaben im Bereich Computer Vision verwendet werden.
Das Ergebnis überzeugte nicht nur Kritiker und Publikum, sondern demonstrierte auch die wirtschaftliche Machbarkeit: Die Szene wäre mit traditionellen Methoden für das Budget der Serie „nicht realisierbar“ gewesen, so Sarandos.
Netflix‘ strategischer Vorteil liegt in seiner umfassenden Technologie-Infrastruktur. Das Unternehmen nutzt bereits seit den frühen 2000er Jahren KI für Personalisierung und Empfehlungen, wobei 75-80% des Sehverhaltens durch KI-Algorithmen beeinflusst wird. Diese bestehende Expertise ermöglichte eine nahtlose Expansion in die Videogenerierung.
Die Zusammenarbeit zwischen menschlichen Kreativen und KI folgte einem klaren Prinzip: „Das sind echte Menschen, die echte Arbeit mit besseren Werkzeugen leisten„, betonte Sarandos. Dieser Ansatz spiegelt Netflix‘ Verständnis wider, dass KI als Verstärkung, nicht als Ersatz für menschliche Kreativität fungiert.
Technische Meilensteine und Marktvergleich
Die aktuellen Fähigkeiten der KI-Videogenerierung zeigen sowohl beeindruckende Fortschritte als auch persistente Limitationen. Bei der Physik-Simulation haben alle großen Plattformen deutliche Verbesserungen erzielt. Die Darstellung von Licht, Reflexionen und Kamerabewegungen erreicht professionelles Niveau.
Dennoch bleiben signifikante technische Herausforderungen, von denn ich nach mehreren tausend Stunden KI-Videoproduktion auch ein Lied singen kann: Die Darstellung von Menschen fällt oft in das „Uncanny Valley“, besonders bei Händen, Füßen und Gesichtsausdrücken. Textgenerierung innerhalb von Videos ist nach wie vor praktisch unmöglich, und komplexe Interaktionen zwischen mehreren Objekten oder Charakteren bereiten uns allen große Schwierigkeiten.
Auswirkungen auf die Medienindustrie und gemischte Reaktionen
Die Reaktionen der Unterhaltungsindustrie auf KI-Videotechnologie polarisieren. Yves Bergquist vom Entertainment Technology Center der University of Southern California bezeichnet sie als „völlig revolutionäre Technologie„, die von technologisch versierten Studio-Gruppen, besonders in Post-Production und Animation, angenommen wird. Dagegen warnt Jonathan Taplin vom USC Annenberg Innovation Lab vor einem kompletten Ersatz menschlicher Künstler und einer Verstärkung von „Formulaic Content.“
„Formulaic Content“ sind Formelhafte Inhalte die sich auf Material, das einem vorhersehbaren, standardisierten Muster oder einer Struktur folgt beziehen und oft die Wiederholung von Standardphrasen oder vordefinierten Formaten beinhaltet. Im Konkreten können das Drehbücher oder Filme sein, die auf einen Mangel an Originalität oder kreativen Bemühungen schließen .
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Über 90% der Unternehmensführer sehen generative KI in den nächsten drei Jahren in einer größeren Rolle, während 75% bereits Stellen eliminiert, reduziert oder konsolidiert haben. CVL Economics schätzt, dass 204.000 Positionen in der Unterhaltungsindustrie über die nächsten drei Jahre betroffen sein werden – in Kalifornien allein 62.000 Arbeitsplätze.
Besonders vulnerable Positionen sind Entry-Level-Arbeitsplätze, Soundingenieure, Voice Actors, Concept Artists und VFX-Spezialisten. Animation Guild’s „Critical Crossroads“ Report warnt, dass generative KI die Arbeit der meisten TAG-Mitglieder übernehmen könnte. Concept Artists berichten bereits, dass sie zunehmend damit beauftragt werden, KI-generierte Werke „aufzuräumen“, was ihre abrechenbaren Stunden reduziert.
Die Gewerkschaftsreaktionen waren entsprechend entschieden. SAG-AFTRA führte einen 118-tägigen Streik 2023, in dem KI ein zentrales Thema war, und etablierte vier ethische Grundprinzipien:
1. Transparenz
2. Zustimmung
3. Entschädigung
4. Kontrolle
Der zehnmonatige Videospiel-Streik 2024-2025 drehte sich spezifisch um KI-Schutzmaßnahmen und endete mit einer 95,04%-Ratifizierung neuer Vereinbarungen.
Regulatorische Entwicklungen
Die größte regulatorische Herausforderung bleibt das Copyright-Dilemma: Über 30 Copyright-Klagen wurden gegen KI-Unternehmen in den USA eingereicht. Disney und NBCUniversal verklagten im Juni 2025 als erste große Studios Midjourney. Senator Josh Hawley beschrieb KI-Training als „größten Diebstahl geistigen Eigentums in der amerikanischen Geschichte„.
Zukunftsprognosen und Marktentwicklung
Die kurzfristigen Entwicklungen 2025-2026 versprechen dramatische Verbesserungen: Längere Videodauern nähern sich spielfilmlänge-Fähigkeiten, verbesserte menschliche Darstellung reduziert Uncanny Valley-Effekte, und mehr Plattformen integrieren native Audiogenerierung. Real-time-Generierung für Live-Anwendungen wird Realität.
Mittelfristig 2027-2030 erwarten Experten interaktive KI-generierte Erfahrungen und Spiele, hochgradig personalisierte Inhalte für individuelle Nutzer, und Integration mit AR/VR für immersive Erfahrungen. Der professionelle Einfluss auf traditionelle Film- und Medienproduktion wird signifikant.
Die Investitionstrends bestätigen diese Prognosen: Netflix berichtete Q2 2025 Einnahmen von 11,08 Milliarden USD (+16% YoY) mit 3,13 Milliarden USD Gewinn, was kontinuierliche KI-Investitionen ermöglicht. 97% der L&D-Professionals finden Video effektiver als Text, während 44% der Marketer KI als zentral für ihre Strategien ansehen.
Die neue Realität der KI-Inhaltsproduktion
Netflix‘ Erfolg mit „The Eternaut“ etabliert einen neuen Standard für KI-Integration in der Unterhaltungsindustrie. Die Demonstration von 10x schnellerer, kosteneffektiver VFX-Produktion bei gleichbleibender Qualität zeigt, dass Arbeit mit KI kein futuristisches Experiment mehr ist, sondern ein praktisches Werkzeug für aktuelle Produktionen.
Die strategischen Implikationen sind weitreichend: Kleinere Produktionen erhalten Zugang zu Hollywood-Effekten, internationale Inhalte können global konkurrieren, und kreative Visionen werden weniger durch Budget-Beschränkungen limitiert. Netflix‘ Positionierung von KI als Enhancement-Tool statt Ersatz für menschliche Kreativität adressiert Industriebedenken und liefert gleichzeitig tangible Business-Value.
Die Zukunft wird wahrscheinlich mehr Hybridlösungen bringen: KI übernimmt mehr und mehr technische Aufgaben, während Menschen sich auf höhere kreative Funktionen konzentrieren. Symbolische Abstraktion, nuanciertes Storytelling, emotionale Tiefe und künstlerische Innovation bleiben „fest in menschlicher Domain“.
Für unsere Medienlandschaft bedeutet dies eine Demokratisierung hochwertiger Videoproduktion: Kleinere Produktionsfirmen im DACH-Raum können international konkurrieren, lokale Inhalte erreichen globale Qualitätsstandards, und die Sprachbarriere wird durch KI-gestützte Synchronisation reduziert.
Der Erfolg von „The Eternaut“ signalisiert beschleunigte Adoption von KI-Tools über alle Plattformen hinweg, mit Implikationen für Produktionskosten, kreative Prozesse und competitive Dynamik in der globalen Content-Creation.
Eine neue Ära beginnt
Netflix‘ wegweisender Einsatz generativer KI in „The Eternaut“ markiert den Übergang von experimenteller Technologie zu produktionsreifer Innovation. Die erfolgreiche Demonstration zeigt, dass KI-Videogenerierung nicht nur technisch machbar, sondern auch wirtschaftlich vorteilhaft und kreativ bereichernd ist.
Während ethische Bedenken, Arbeitsplatzängste und regulatorische Herausforderungen bestehen bleiben, etabliert Netflix einen pragmatischen Ansatz, der menschliche Kreativität verstärkt statt ersetzt. Mit starker finanzieller Performance und kontinuierlichen KI-Investitionen ist Netflix gut positioniert, um die weitere Integration von KI in ihre Produktionspipeline voranzutreiben.
Die Botschaft ist klar: KI-Videotechnologie ist nicht mehr reine Zukunftsvision, sondern Realität. Für Zuschauer, Kreative und die Industrie insgesamt beginnt eine neue Ära des Erzählens – eine Ära, in der die Grenzen zwischen menschlicher Vorstellungskraft und technologischer Umsetzung zunehmend verschwimmen.
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